Märchen: Der Schwankönig

Schwankönig

Es waren einmal zwei Könige, deren Reiche lagen schon viele Jahre im Krieg miteinander, bis der König des Seenlandes eines Tags zu seinem Feinde sprach: „König vom Burgenland, es ist doch ein gar endloser Kampf. Lass uns Frieden schließen und zum Zeichen des Friedens erhält dein Sohn meine Tochter zur Frau.“ Der König des Burgenlandes willigte ein, und da die Königskinder noch recht klein und die Zeit für eine Hochzeit noch nicht gekommen war, lud der König des Seenlandes seinen ehemaligen Feind zum Ball in seinen Schlossgarten ein, zur Besiegelung der Vermählung.

Es wurde ein großes Fest, Könige und Edelleute aus aller Lande waren herbei gekommen, als auf einmal ein dichter Nebel aufzog. Da erschienen elf Frauen in langen Gewändern und eine trat hervor und sprach: „Wir sind die Nebelfrauen. Könige, die ihr eure Kinder einander versprecht. Es ist seit jeher Brauch, in unser und in die Reiche unserer Schwestern, der Schneehexe und der Frau Sonne, zu kommen und die Brautgeschenke abzuholen. Denkt an eure Pflicht! Es könnte euch sonst schlimm ergehen.“ Und ebenso schnell wie sie gekommen waren, verschwanden die elf Frauen wieder, der Nebel verzog sich und die Sonne schien über den Schlossgarten als sei nichts geschehen.

Der König des Seenlandes lachte und sprach: „Bruder, was sollten uns die Nebelfrauen und ihre unnützen Bräuche kümmern?“ Und der König des Burgenlandes antwortete: „Gewiss nichts, lieber Freund“ und lud nun auch zum Ball, drinnen, in einer seiner Burgen. Das Fest im Burgenland übertraf das Fest im Seenland noch an Prunk und Pracht. Es wurde getanzt und gelacht und keiner dachte mehr an die Verheißungen der guten Nebelfrauen, als plötzlich, mitten im Thronsaal, ein fürchterlicher, eisiger Sturm entfachte. Die Schneeflocken wirbelten über die reich gedeckten Tafeln, dass der Wein in den silbernen Bechern gefror, und herein trat die Schneehexe, die rief voller Zorn: „Am Tage ihrer Hochzeit, wenn ein Ring die Hand des anderen ziert, sollen sich eure Kinder in Schwäne verwandeln, weiß wie Schnee!“- und verschwand.

Abermals lachten die beiden Könige und als die Zeit der Vermählung gekommen war, da schlug der König des Seenlandes vor, die Hochzeit möge in seinem Schloss und – nicht am Tage – sondern um Mitternacht stattfinden. Alsdann fanden sich die reichsten und mächtigsten Könige und Edelleute aller benachbarten Reiche nach Sonnenuntergang im königlichen Schloss ein; es wurde getanzt und geschmaust und als es endlich Mitternacht schlug, wurden dem jungen Brautpaar die Ringe überreicht. Kaum steckten diese an ihren Fingern, da reckten sich ihre Hälse in die Höhe, wurden länger und länger, Federn wuchsen ihnen an Armen und Rumpf und statt des jungen Brautpaares standen da zwei schöne, schneeweiße Schwäne. Da wurde es mit einem Mal ganz hell wie am Tag und herein trat Frau Sonne. Ihr vollkommenes, güldenes Kleid funkelte, dass ein jeder davon geblendet war und sie sprach: „Ihr!, Könige -, wolltet mich und meine Schwestern überlisten. Euer Hochmut kommt euren Kindern teuer zu stehen – als Schwäne müssen sie fortan leben. Doch will ich Gnade vor Recht ergehen lassen und den Fluch meiner Schwester, den ich nicht aufheben kann, mildern. So soll der Bräutigam nur des Nachts und die Braut nur des Tags die Schwangestalt annehmen.“ Dann verließ sie den Thronsaal und Dunkelheit umgab das Schloss. Beschämt nahm der König des Burgenlandes seinen verzauberten Sohn und kehrte zurück in sein Königreich. Über den Fluch, so hatten sich die beiden Könige geschworen, sollte bei Todesstrafe kein Wort verloren werden.

In der heimatlichen Burg war es dem jungen Prinzen, als hätte er geträumt, er wäre einer schönen Königstochter versprochen worden und er hätte sie nicht heiraten können, da er ein Schwan gewesen sei. Oft stand er am Fenster, schaute in den Wald hinaus und sehnte sich nach der wunderschönen Prinzessin, bis er eines Tages am Waldrand etwas weißes erspähte. Eilig lief der Jüngling ins Freie hinaus und wie er sich dem weißen Bündel näherte, da war es ein Schwan von majestätischem Wuchs, einer seiner Flügel aber blutete und der Rumpf des Tieres hatte sich in einem Dornenstrauch verfangen. Vorsichtig machte sich der Jüngling daran, den blutenden Schwan von den Dornen zu befreien, da sprach dieser mit menschlicher Stimme: „Ich bin der Schwankönig. Du hast mir geholfen in der Not. Wenn dich einmal Angst und Pein ereilt, dann rufe mich und so komme ich.“ Dann flüsterte er: „Wisse, was du für einen Traum hältst, das ist wahr. Deine Braut sitzt im Schlossgarten des Seenlandes und vergießt heiße Tränen vor Sehnsucht nach ihrem Bräutigam. Des Tags aber verwandelt sie sich in einen Schwan, wie du es in der Nacht tust.“ Der Prinz staunte über diese Worte. „Und keiner kann mich und meine Braut erlösen?“, fragte er. „Du und deine Braut müsstet in das Reich der guten Frau Sonne gehen,“ antwortete der Schwankönig. „Sie hat ein Brautgeschenk für euch. Das könnte eure Rettung sein.“ Da bat der Königssohn den Schwan, ihn zu seiner Braut zu führen und sie machten sich sofort auf den Weg, dabei trug der Jüngling den verletzten Schwan behutsam in seinen Armen.

Sie erreichten das Seenland, als bereits der Abend anbrach. Auf dem See des Schlossgartens schwamm ein wundersam anmutiger junger Schwan, das war die Prinzessin, und der Prinz konnte sich gar nicht satt sehen, so schön war das Tier. Doch die letzten Sonnenstrahlen verschwanden und nun musste er als Schwan auf dem Wasser umher schwimmen, im Schilf aber saß die wunderschöne Königstochter, die fand den verletzten Schwan am Ufer liegen. Sie zögerte nicht lang und verband den Flügel mit einem feinen, seidenen Tuch. Und abermals sprach der Schwan mit menschlicher Stimme: „Ich bin der Schwankönig. Du hast mir geholfen in der Not. Lass mich nun dein Gehilfe sein und rufe mich, wenn dich einmal Not ereilt“- und erklärte auch der Königstochter, dass ihre Verwünschung kein Traum sei und sie sich auf machen solle ins Reich der Frau Sonne. Dann verschwand er.

Die Königstochter brach mit ihrem verzauberten Prinzen auf, um das Reich der Frau Sonne zu suchen. Als bereits der Morgen dämmerte, erreichten sie eine weite Wüste und es war an der Zeit, dass aus der schönen Königstochter wieder ein Schwan und aus dem Schwan wieder der Königssohn ward. Müde vor Hitze stapfte der Prinz durch den Sand, während der Durst seine Kehle trocknete. Da sah er auf einmal im Sand ein helles Funkeln und als er sich ihm näherte, entpuppte es sich als ein großes Ei, das war von makellosem, blankem Gold. An der Seite war das Ei nicht glatt, sondern ganz rau und hatte eine tiefe Kerbe. Da watschelte die Schwanprinzessin heran, trug Zweige und dürre Gräser herbei und baute daraus ein kleines Nest. Dann schob sie das Ei behutsam in das Nest hinein, setzte sich darauf und brütete. Es dauerte nicht lange, da brach die goldene Schale und darin lag eine wunderschöne rote Blume.

Der Königssohn war ergriffen von ihrer Schönheit, dass er sie in seine Hände nahm und mit ihr und seiner Schwanbraut weiter lief. So gelangte er zur Frau Sonne, die sprach: „Du hast die rote Blume gefunden. Sie soll im Schlossgarten gepflanzt und reichlich begossen werden, das soll mein Brautgeschenk sein. Gehe nun in das Schneereich und suche die Schneehexe.“ Der Königssohn bedankte sich und machte sich auf den Weg. Doch die Blume in seinen Händen begann zu trocknen, so heiß war es im Land der Sonne, und dem Prinzen wurde angst und bange. Da fiel ihm das Versprechen des verletzten Schwanes ein und in seiner Not rief er: „Schwankönig!“ Da tauchte am Himmel mit weißen Schwingen ein riesengroßer Schwan auf, der hatte eine Krone auf dem Haupt, die aus goldenen Federn war. Er nahm die schöne Blume in seinen Schnabel und flog mit ihr davon.

Kaum hatten die Königskinder das Reich der Sonne verlassen, da brach eine mondhelle Nacht herein und es war nun der Schwanprinz, der der schönen Königstochter auf roten Watschelbeinen hinter drein lief. So erreichten sie das Reich der Schneehexe, eine schier endlose Schneelandschaft, zarte Schneekristalle tanzten um das vor Kälte weiße Gesicht der Prinzessin. Da sah sie in der Ferne etwas liegen, das vom Mondlicht hell erleuchtet war, und wie sie näher heran trat, da erkannte auch sie ein großes Ei, doch war es von blankem, klarem Silber. Auch dieses Ei war an der einen Seite ein wenig rau und an eben jener Stelle matt und glanzlos. Da baute der Schwanprinz ein kleines Nest, schob das Ei behutsam hinein und brütete.

Als die Schale brach, so lag darin eine himmelblaue Blume, deren klare Schönheit das Herz der Prinzessin so sehr rührte, dass sie sie in ihre Hände nahm. Da erschien die Schneehexe und rief: „Ei sieh da, Königstochter! Du hast die blaue Blume gefunden! Sie ist mein Brautgeschenk. Doch sie zu finden allein reicht nicht. Du musst sie in deinem Schlossgarten pflanzen und reich begießen. Auch musst du jetzt das Geschenk der Nebelfrauen finden“- und dachte bei sich, dass dieses zarte Ding nie und nimmer die blaue Blume heil nach Hause brächte, ja nicht einmal den Weg zum Reich der Nebelfrauen fände. Die Königstochter aber bedankte sich und machte sich auf den Weg. Doch die Blume in ihren Händen begann zu gefrieren, dass der Prinzessin angst und bange wurde. Da erinnerte sie sich an die Worte des verletzten Schwanes und in ihrer Not rief sie: „Schwankönig!“ Und wieder tauchte der riesige Schwan mit der Krone aus goldenen Federn am klaren Sternenhimmel auf und flog mit der schönen Blume im Schnabel davon.

Die Königstochter ließ das Schneereich hinter sich und als es Tag wurde, nahm sie wieder ihre Schwangestalt an. Der Prinz unterdessen schaute sich um und fand sich in einem grauen Sumpfland wieder. Dichter Nebel umgab ihn, dass er die Hand nicht vor den Augen sehen konnte. Aus dem Nebel hervor traten elf Frauen in langen Gewändern, eine von ihnen überreichte dem Prinzen eine Schale, die war aus puren Diamanten,- und sprach zu ihm: „Wir sind die Nebelfrauen. Geh an die Grenze unseres Reiches, dort steht eine alte, trauernde Weide. Nimm die Schale und fange mit ihr elf Tautropfen von ihren Zweigen auf. Damit sollt ihr die rote und die blaue Blume begießen. Dies sei euer Brautgeschenk.“ Der Königssohn bedankte sich und machte sich auf den Weg. Seine Braut, der Schwan, folgte ihm auf roten Watschelfüßen. An der Grenze des Nebellandes fand er die trauernde Weide. Unter ihren Zweigen aber lag eine große, weiße Gestalt, das war der Schwankönig, der sprach: „Meine Zeit geht nun zu Ende, doch du, Prinz, wirst sehen – deine Braut wird meine Krone tragen und so werde ich bei euch sein.“ Als gerade der elfte Tropfen Tau von den Zweigen der alten Weide in die diamantene Schale hinein tropfte, da war der Schwankönig verschwunden.

Der Königssohn und seine Schwanbraut kehrten Heim in das Schloss des Seenlandes und siehe da: der Schwankönig hatte die rote und die blaue Blume in den Schlossgarten gepflanzt. Der Prinz begoss nacheinander erst die rote und dann die blaue Blume mit dem Tau aus dem Nebelreich. Da wuchsen die Blumen empor und erstrahlten in schöner, duftender Frische und als der Prinz neben sich sah, da stand vor ihm seine Braut, die Königstochter, und ihr Haupt zierte eine Krone aus goldenen Federn.

Der König des Seenlandes und der König des Burgenlandes wussten sich vor Freude kaum zu lassen. Nun wurde in aller Pracht und Freude ein zweites Hochzeitsfest gefeiert und der junge Prinz und seine Gemahlin regierten gut und gerecht als König und Königin über das Burgen- und über das Seenland. Die Blumen in ihrem Schlossgarten aber besaßen wundersame Kräfte, die jedem, den Kummer oder Krankheit ereilten, Trost und Heilung spenden konnten.

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