Märchen: Hansmaus und der Ring der Wünsche

In einem Fischerdorf auf einer kleinen Insel im Meer, da lebten einarmer Fischer und seine Frau. Die wünschten sich schon lange einKind, aber sie bekamen keins. Da trat eines hellen Tages ein altesWeib in ihre Stube, schenkte ihnen einen Haselzweig und weissagte,schon bald würden sie ein Kind bekommen, das eine große Heldentatvollbringen wird. Da freute sich das Fischerpaar und der Fischerpflanzte den Haselzweig auf ein Stück unbebauten Ackers vor der Tür.

Esdauerte nicht lange, da erfüllte sich, was das Weib gesprochenhatte, und die Fischersfrau gebar einen gesunden Sohn. Doch warenOhren, Augen, Nase und Mund des Kindes wie bei einer Maus und dieEltern erschraken sehr. Die anderen Fischersleute im Dorf, als siedas Kind sahen, rümpften die Nasen, spotteten und wollten das Kindmit dem Mausgesicht nicht unter sich haben. Die Eltern aber liebtenihr Kind, wie Eltern ihr Kind nur lieben können, und scherten sichnicht um das Gerede der Leute. Sie hatten ihre liebe Freude mit demJungen, den alle nun Hansmaus riefen, und schauten ihm zu, wie erwuchs und gedieh. Doch konnten sie ihn vor dem Spott der Leute imDorf nicht bewahren und so war der Junge oft betrübt, ärgerte sichüber sein entstelltes Gesicht und wünschte sich nichts mehr als einMenschengesicht, wie die anderen es haben.

AlsHansmaus zu einem jungen Mann herangewachsen war, drang die Kundedurch das Land und bis auf die kleine Fischerinsel, die Tochter desKönigs sei verschwunden und demjenigen, der sie findet und befreit,sei eine reiche Belohnung versprochen. Schon viele ruhmreiche Ritter,mutige Seeleute und tapfere Prinzen hätten sich auf die gefahrvolleSuche nach ihr begeben, doch keinem sei es gelungen, sie zu finden.Es ging die Sage um, die Königstochter sei durch einen bösen Zauberin der Tiefe des Meeres verschwunden und es sei unmöglich, sie zuretten. Da rief der Fischer seinen Sohn zu sich und ging mit ihm zuder Stelle, wo er einst den Haselzweig gepflanzt hatte. Dieser war zueinem üppigen Strauch hinauf gewachsen und trug viele reife Früchte.Der alte Fischer erzählte seinem Sohn, was das Weib ihnen vor seinerGeburt geweissagt hatte, zeigte ihm den Haselstrauch und sprach:„Mein Sohn, geh zum König und biete ihm deine Hilfe an. Dir istGroßes prophezeit worden. Keinem anderen als dir wird es gelingen,die Prinzessin zu finden.“

Hansmausblieb noch lange bei dem Strauche sitzen und dachte über das nach,was der Vater ihm gesagt hatte. Da fiel auf einmal eine Nuss vorseine Füße und brach entzwei, dass ihre Schale wie ein kleinesSchiffchen aussah. Er hob sie auf und ging zum Meer und weil bereitsdie Nacht herein brach, wurde er müde und schlief ein. DieNussschale aber wuchs zu einem Schiff heran, darinnen eine ganzeBesatzung saß. Als Hansmaus erwachte und das Schiff erblickte,staunte er und Mut überkam ihn. Er ging ins Dorf und verkündete,dass er sich nun auf den Weg zum König machen und die Königstochterbefreien würde. Da lachten die Dorfbewohner, schüttelten die Köpfeund sprachen: „Mit deinem Mausgesicht wird man dich nicht einmalins Schloss hinein lassen. Der König aber wird dich in den Kerkerwerfen, da du so hässlich bist.“ Aber der Jüngling betrat seinSchiff, ließ die Segel setzen und fuhr damit zum Festland, wo dasSchloss des Königs stand. Wie das Schiff auf hoher See war, regtensich die Wellen, erst leicht, dann immer stärker, als wollten siesagen: „Kehre um, Hansmaus! Deine Mutter weint so sehr. DiePrinzessin ist versunken im Meer. Retten kannst du sie nimmermehr!“Hansmaus hörte nicht darauf und dachte bei sich: „MeinHaselschiffchen kennt den Weg.“ Dann sicherte er das Steuer undhielt Kurs, bis er den Hafen erreichte.

DieSchlosswache riss die Augen auf, als da ein junger Mann mit einemMausgesicht erschien, um Einlass bat und dem König seinen Dienstanbieten wollte. Schnell rannte der Torwächter zum König undsprach: „Da draußen steht ein Wesen, das ist halb Mensch und halbMaus und will in Euren Dienst treten.“ Da sprach der König: „Nun,wenn er mir seinen Dienst anbietet, so lasst ihn herein kommen.“Wie Hansmaus das Schloss betrat, drehte sich die ganzeHofgesellschaft nach ihm um und es wurde getuschelt und gelacht. Nochnie hatte man im Schloss einen Menschen gesehen, dessen Ohren, Augen,Nase und Mund wie bei einer Maus aussahen. Der König aber sprach:„Wer bist du und was hast du mir anzubieten?“ „Ich binHansmaus, der Fischerssohn. Ich will Euch Eure Tochter befreien!“antwortete der Jüngling. „Wie willst du das anstellen?“ fragteder Berater des Königs. „Du trägst keinen Harnisch und keinSchwert bei dir und dein Gesicht sieht zum Fürchten aus. Einer wiedu kann die schöne Prinzessin nicht erlösen.“ „Mir ist der Mutund das Zeug zu einer großen Heldentat gegeben. Und deshalb wird esmir gelingen, das Rätsel um das Verschwinden der Prinzessin zu lösenund sie Euch heim ins Schloss zu bringen“, antwortete da derJüngling mit dem Mausgesicht und der König nickte und sprach zuihm: „Gut, Hansmaus, wenn du dein Glück versuchen willst, danngebe ich dir drei Tage. Wenn du mir bis dahin meine Tochter bringst,hierher in mein Schloss, sollst du sie zur Frau bekommen und mit ihrdas ganze Königreich. Doch wisse: Keiner weiß, wo sie ist und wassie verschwinden ließ, und viele tapfere Männer ließen bereits ihrLeben auf der Suche nach ihr. Willst du es dennoch versuchen?“ „Daswill ich.“ „So lege dich heute Nacht in einer meiner Kammern zurRuhe und mache dich morgen in der Frühe ausgeruht auf den Weg.“

Hansmaustat, wie ihm geheißen, und legte sich in einer der Schlosskammernzur Ruhe. Wie er gerade die Kerzen löschen wollte, da hörte er zweipiepsende Stimmen unter seinem Bett: „He! Hansmaus!“ sprach dieeine. „Wir können dir helfen“, die andere. Und wie er unter dasBett sah, da waren es zwei kleine Mäuse, und Hansmaus warverwundert, dass er die Sprache der Mäuse verstand. „Ich wüsstenicht, wie ihr kleinen Schlossmäuschen mir helfen wollt“, gähnteer dann. „Lasst mich schlafen.“ „Wir können dir sagen, wo diePrinzessin ist“, piepsten da die Mäuse. Au! Da wurde Hansmaushellwach und spitzte seine großen Mauseohren! „Die Königstochterist verzaubert in eine Perle, die hängt an der Kette der Königin,dass es nun dreizehn sind statt zwölf.“ „An der Kette derKönigin?“ fragte Hansmaus ungläubig. „Nun, dann verhält essich alles doch recht einfach. Dann brauche ich ja nur zum König zugehen und es ihm zu sagen.“ „Halte ein, Hansmaus!“ riefen dieMäuschen schnell. „Du musst einen Weg finden, den Zauber zubrechen. Eile dich! Wenn die Königin die dreizehnte Perle an ihrerKette bemerkt, wird das der Prinzessin ihr Tod sein.“ Nun, wenn essich so verhält, dann steht es doch ziemlich schlimm um die jungeKönigstochter, dachte Hansmaus bei sich, bedankte sich bei denMäusen für ihren Rat und löschte das Licht, um zu schlafen.

Alsder Morgen anbrach, betrat Hansmaus sein Schiff, ließ die Segelsetzen und fuhr auf das weite Meer hinaus. Und als er auf hoher Seewar, regten sich abermals die Wellen, erst leicht, dann immerstärker, genauso als wollten sie sagen: „Kehre um, Hansmaus! DeineMutter weint so sehr. Die Prinzessin ist versunken im Meer. Rettenkannst du sie nimmermehr!“ Hansmaus hörte nicht darauf, sichertedas Steuer und hielt Kurs. Doch die Wogen türmten sich höher undimmer höher und der Sturm pfiff Hansmaus streng um die großenOhren, als wollte er sagen: „Kehre um, Hansmaus!“ Hansmaus holtedas Segel ein und musste sich an der Reling festhalten, während derRegen ihm ins Gesicht peitschte. Er rief den Wellen entgegen: „MeinHaselschiffchen kennt den Weg!“ Dann zog er sich wankend in denBauch des Schiffes zurück. Und dort, in einer dunklen, feuchtenEcke, da funkelnden ihn auf einmal viele kleine Augenpaare an, dasses ihm bange wurde und er erschrocken zurückwich. Es waren dieSchiffsratten, die näherten sich ihm und sprachen ihn an: „He!Hansmaus! Wir können dir helfen!“ Und wieder wunderte sich dermausköpfige Fischerssohn, dass er die Sprache der Ratten verstand.„Wenn ihr mir helfen könnt, so sprecht und helft mir“, murmelteer müde und ermattet. „Einen bösen Zauber muss ich brechen, indrei Tagen, und weiß nicht wie und weiß nicht wo. Mich hat der Mutverlassen.“ „Was du brauchst, das ist der Ring der Wünsche“,raunten ihm die Ratten zu. „Nicht weit von hier liegt eine felsigeInsel, darauf ist eine tiefe Grotte, darinnen verborgen liegt derRing der Wünsche. Jedem, der ihn findet, erfüllt er einen Wunsch.“Wie Hansmaus das hörte, wurde ihm leichter ums Herz. Sogleich wollteer an Deck eilen um Kurs auf die verheißungsvolle Insel zu halten,da hielten die Ratten ihn zurück und warnten ihn: „Gib Acht,Hansmaus! Der Ring wird bewacht von einem schrecklichen Wesen undnoch keinem hat es den Ring der Wünsche überlassen.“ „Gibt esnichts, das ich tun kann, das dieses Wesen besänftigt?“ fragteHansmaus. „Das kann keiner sagen“, antworteten die Ratten. „Dochhöre auf diesen Rat: Wenn du die Grotte betrittst, dann berührenichts außer den Zauberring.“ Nun hielt es Hansmaus nicht längeraus und er eilte hastig an Deck. „Habt Dank, liebe Schiffsratten!“rief er den grauen Gesellen noch zu, dann ließ er die Segel setzen,denn der Sturm hatte sich gelegt. Der Abend dämmerte schon, als dasSchiff die Felseninsel erreichte und der Anker ausgeworfen wurde.

Kaumwar die Sonne aufgegangen, verließ Hansmaus sein Haselschiffchen,und es dauerte nicht lange, da hatte er die Grotte gefunden, wie dieSchiffsratten es ihm versprochen hatten. Hunger und Durst plagtenihn, sodass er kaum noch stehen konnte. So betrat er die tropfendeHöhle, worinnen ihn nichts als Finsternis umgab. Tapfer schritt derJüngling hindurch und tastete sich voran, bis er in der Ferne einLicht entdeckte. Als er näher trat, erkannte er eine Fackel, die ander Höhlenwand hing, und im Licht der Fackel einen Tisch, der wargedeckt mit herrlichen Speisen und süßem Wein. Da erinnerte er sichan das, was ihm die Ratten geraten hatten und sprach zu sich: „Hungerhätte ich schon und am verdursten bin ich auch. Nicht übel Lusthätte ich, nur einen kleinen Bissen zu nehmen und ein kleinesSchlückchen Wein zu trinken. Doch will ich den Rat der Rattenbefolgen und nichts anrühren und weiter nach dem Ringlein suchen.“Und Hansmaus ging weiter, tiefer in die Höhle hinein, und rings umihn, da tropfte es tropf – tropf – tropf.

Esdauerte nicht lang, da entdeckte er wieder ein Licht, und als ernäher trat, entpuppte sich auch dieses Licht als eine Fackel. ImLicht der Fackel erkannte der Fischerssohn ein prächtiges Schwertund einen funkelnden Harnisch dazu, wie ihn die Edelleute tragen, dietapferen Ritter und mutigen Prinzen. Und wieder sprach Hansmaus zusich: „So einen Harnisch kann ich wohl gebrauchen und mit demSchwert könnt ich mich dem schauderhaften Wesen tapferentgegenstellen, von dem die Ratten mir berichtet haben. Doch willich ihren Rat befolgen und nichts anrühren und weiter nach demRinglein suchen.“ Und Hansmaus ging weiter, immer tiefer in dieHöhle hinein und immer noch erklang rings um ihn herum das Tropfendes Wassers von der Höhlendecke. Tropf – tropf – tropf. Balddarauf sah er eine dritte Fackel und in ihrem Licht ein Spiegelchen,das da lag. Und wie er hineinsah, erblickte er das schöne Gesichteines jungen Mannes, eben so, wie er es sich schon immer gewünschthatte. Und er sprach zu sich: „Oh weh! Wie lange schon wünsche ichmir ein solches menschliches Gesicht. Oh wie fein es mich ziert undwie schön ich damit aussehe. Doch will ich den Rat der Rattenbefolgen und – so schwer es mir fällt – das Spiegelchen nichtanrühren und weiter nach dem Ringlein suchen.“

Undweiter lief der Jüngling mit dem Mausgesicht unbeirrt durch dasDunkel der felsigen Grotte und das Tropfen des Wassers von derHöhlendecke ward lauter und immer lauter, bis Hansmaus wieder einLicht erspähte, das war größer und heller als alle Lichter zuvor.Und wie er näher trat, waren es unzählige Fackeln, die sich ineinem unterirdischen See spiegelten und die Höhle hell erleuchteten.Am Ende des Sees aber lag eine große Schlange, die hatte Flügel aufihrem Rücken, hob ihren riesigen Kopf und zischte ihn an. „Dasalso ist das schreckliche Wesen, von dem die Ratten sprachen“,dachte Hansmaus bei sich und schauderte bei ihrem Anblick. Doch eshalf nichts. Den ganzen weiten Weg hatte er zurückgelegt und nungalt es den Zauberring herbei zu schaffen. Er warf seine Kleider ab,stieg hinab in das kalte, dunkle Seewasser und schwamm zurgeflügelten Schlange, die ihn mit ihrem Blick verfolgte, bis er dasandere Ufer erreichte und ihr gegenüberstand. Und – oh Wunder! -die Schlange wich zur Seite und unter ihrem gewaltigen Bauch, da lagein kleines, goldenes Ringlein, das Hansmaus zögernd in seine Handund mit an das andere Ufer nahm. Er verließ die dunkle Grotte undbetrat sein Schiff, während über ihn die Nacht herein brach. ZweiTage waren nun vergangen, seit er das Schloss des Königs verlassenhatte.

AmMorgen des dritten Tages ließ Hansmaus die Segel in Richtung desKönigsschlosses hissen. Er trat vor den König und dieser sprach:„Du kehrst ohne meine Tochter zurück. So hast du es also nichtvermocht.“ „Eure Tochter ist hier“, antwortete Hansmaus. ZwölfPerlen zieren den Hals der Königin und zum großen Glück derPrinzessin hat die Königin nicht die dreizehnte Perle an ihrerHalskette bemerkt.“ Der König und die Königin wunderten sich überdie Worte des Jünglings. Dieser aber zog das Ringlein hervor undschaute es an. Wie gern hätte er sich ein schönes Menschengesichtgewünscht, ebenso eins, wie er es in dem Spiegelchen in der Grottegesehen hatte. Doch bezwang er sich und sprach seinen Wunsch aus:„Ich wünsche die Prinzessin frei.“ Da sprang auf einmal eine derdreizehn Perlen von der Halskette der Königin ab, rollte über denBoden und wuchs und wuchs heran bis da die Königstochter stand.Hansmaus konnte den Blick nicht von ihr wenden, so schön war sie.

DerKönig und die Königin freuten sich über die Erlösung ihrerTochter und ließen ein großes Fest ausrichten. Hansmaus sollte dazuan der Tafel des Königs speisen und der König sprach: „Du hastmeine Tochter erlöst. Nun sollt ihr Hochzeit halten und du Königüber mein Reich werden.“ „Ach, Herr König“, antworteteHansmaus betrübt. „Behaltet Euer Königreich. Wie soll ich einReich regieren, wenn ich doch ein Mausgesicht habe.“ Und zurPrinzessin sagte er: „Ach, schöne Königstochter. Was wollt Ihranfangen mit einem Mann, der Ohren, Augen, Nase und Mund einer Maushat? Zum Fürchten sehe ich aus und kann nicht Euer Gemahl sein.“„Ich will Euch dennoch zum Mann und Eurer prächtiges Ringlein zumBrautgeschenk“, antwortete die Königstochter. Hansmaus wusstenicht, dass die Prinzessin sein wahres Gesicht wohl kannte. Und daswar eben jenes königliche Jünglingsgesicht, das Hansmaus im Spiegelin der Grotte gesehen hatte. Sie hatte es gesehen, als sie noch alsPerle an der Halskette der Königin hing. Und so wurde eine prächtigeHochzeit gefeiert.

Nachdem das Brautpaar zum Schlafgemach gebracht worden war, legte die Braut heimlich das Ringlein unter das Kopfkissen. Und als ihr Gemahl in tiefem Schlafe lag, da sprach sie ihren Wunsch aus: „Ich wünsche meinen Bräutigam frei.“ Am Morgen trat Hansmaus, der nicht länger wie eine Maus aussah, vor den alten König und dieser rief entzückt: „Solch ein prächtiger Jüngling seid Ihr. So seid von nun an König über das ganze Reich.“ Der junge König fühlte nach seinem Gesicht und konnte nicht begreifen, wie das geschehen war. Da erzählte ihm die junge Königin, dass sie sein wahres Aussehen schon lange gekannt hatte und sich das Ringlein zum Brautgeschenk gewünscht hatte, um ihn zu erlösen. Und nun wurde noch einmal ein großes Fest gefeiert und Hansmaus ward ein guter und gerechter König. Den Ring der Wünsche aber verwahrten sie wohl und wer ihn suchen will, der wird ihn finden.

Ende.

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