Juli 10

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Beziehungsmythen: Kindern Grenzen setzen

“Ich weiß nicht was ich tun soll. Torben-Malte räumt einfach sein Zimmer nicht auf!”

Junge Eltern kennen das. Wenn man sich öffentlich soweit öffnet, davon zu erzählen, dass man Probleme mit seinen Kindern hat, ist die beliebte Antwort:
”Du musst deinen Kindern Grenzen setzen!”

Gerade die ältere Generation sieht darin oft das Allheilmittel aller Konflikte in der Familie. Nicht selten wird dieser Ratschlag mit einem völligen Totschlagargument begleitet:
“Ich habe selbst zwei (oder drei oder vier) Kinder. Ich weiß, wie man es macht.”

Leider gibt es wenige “gut gemeinte Ratschläge”, die so fehl am Platze sind, wie dieser. Wie falsch, habe ich persönlich gelernt, als ich mich mit den Texten und Büchern von Jesper Juul beschäftigt habe, den ich sehr verehre. Viele Formulierungen in diesem Beitrag sind nahezu Zitate von ihm, da kaum jemand diese Sachverhalte so klar und griffig formuliert wie dieser fantastische Däne.

Der Elternapparat

Natürlich, es ist nicht falsch, dass Kinder Grenzen brauchen, um sich geborgen zu fühlen. Nur leidet wird die Notwendigkeit dessen oft unter dem Aspekt der Familienrollen betrachtet.
Ich versuche, in meiner Rolle als ‘Familienvater’ meinem Kind etwas über Autorität beizubringen. Es geht um Macht, nicht um Authentizität.
Meine große Tochter hat mir jedoch schon früh beigebracht, dass auf diese Art und Weise kein Herankommen an sie ist. Zunächst kann einen das meschugge machen (was für ein schönes Wort).
Aber dann war ich ihr dankbar dafür.
Mein Kind fordert von mir, dass ich authentisch bin.
Dass ich ICH bin.
Dass ich meinen ‘Elternapparat’ abschalte.

Dieser Apparat ist eine, ich sage es, wie es ist, widerliche Sache. Die folgenden Fragen, direkt übernommen aus dem Buch “Dein kompetentes Kind” von Juul (Link auf Amazon) helfen, herauszufinden, ob man gerade wieder wie hohles Blech vor sich hin klappert:

  • Wie vieles von dem, was ich vor mich hin plappere, deckt sich eigentlich mit meinen persönlichen Überzeugungen und Erfahrungen
  • Welche Sätze und Formulierungen sind Rudimente meiner eigenen Erziehung?
  • Wie oft sage ich Dinge, die mich selber verletzt haben, als meine Eltern sie aussprachen?
  • Wie vieles von dem, was ich sage und tue, ist in Wahrheit der Loyalität meinem Partner geschuldet?
  • Welche Sätze plappere ich einfach den Erziehern im Kindergarten nach? Bin ich wirklich dieser Meinung, oder denke ich eigentlich ganz anders darüber?

Aus meiner eigenen Erfahrung möchte ich noch hinzufügen:

  •  Entspringen meine Worte eigentlich nur meinen Ängsten und meinem Wunsch nach Anerkennung?

Wie viele der Sätze, die wir täglich an unsere Kinder richten, bleiben noch übrig, wenn wir alle herausfiltern, die unter die oben genannten Kategorien fallen?
Das Kind spürt, wenn man als Erwachsener etwas nur vor sich hinsagt, weil man das von seinen Eltern so gelernt hat, aber eigentlich selbst überhaupt nicht daran glaubt. Es hilft sehr, die eigenen Ansichten zu überprüfen. Habe ich WIRKLICH ein Problem damit, wenn mein Kind nicht aufisst? Ist es WIRKLICH so schlimm für mich, wenn es herumschreit?
Oft merken wir, dass wir eigentlich gar kein Problem damit haben, wenn unsere Kinder sich… nun ja… kindisch verhalten. Mehr noch, unser Zusammenleben wird viel entspannter, weil wir lange nicht mehr so oft an den lieben Kleinen herumnörgeln müssen.

Purzelbaum

Persönliche Formulierungen

Wenn wir unseren Elternapparat ausgeschaltet haben, können wir uns die Art und Weise unserer Formulierungen anschauen:
Kinder fordern nach persönlichen Grenzen. Diese unterscheiden sich tatsächlich kaum von denen, die wir auch erwachsenen Freunden und unserem Partner setzen würden. Beispiele dafür sind:

”Ich will, dass du die Schuhe ausziehst, wenn du die Wohnung betrittst.” ist eine klar formulierte persönliche Grenze, im Gegensatz zu:

”Man geht nicht mit Schuhen in die Wohnung.”

‘Ich will/Ich will nicht’ ist eine persönliche Sprache, die das Gespräch mit dem Kind auch auf eine persönliche Ebene hebt. Für ein Kind ist es viel einleuchtender, die authentische Persönlichkeit seiner Eltern zu respektieren, statt abstrakte Normen und Verhaltensregeln. Mit einem ‘man’ kann ein Kind einfach nichts anfangen.

Das alles bedeutet nicht, dass unsere Kinder, auch wenn es uns wirklich wichtig ist, und wir das auch so kommunizieren, mit einem freudigen “Juchhu!” anfangen werden, ihr Zimmer aufzuräumen.
Das sind alles lange Prozesse, und manchmal werden wir die Früchte erst spät ernten: Nämlich, dass unsere Kinder wirklich und wahrhaftig begriffen haben, was uns wichtig ist und dass sie durchaus auch sagen dürfen was IHNEN wichtig ist. Und darauf vertrauen, dass wir sie hören.
Wir fördern Selbst-Bewusstsein, indem wir persönliches Selbstbewusstsein ausstrahlen.
Nochmal:
Es geht nicht um einen Machtkampf. Es geht oft auch um Kompromisse und ein Aufeinander-Zugehen.
Dazu muss man ehrlich zu sich selbst sein und klar in seinen Bedürfnissen.
Kein Zurechtweisen.
Kein Von oben herab behandeln.
Wir wollen unsere Kinder gleichwürdig behandeln.

Und mal ehrlich: Zimmer aufräumen ist doch wirklich blöd, nicht wahr? ;-D
(Zum Glück gibt es ja auch da Wege, dass es allen Spaß macht… Zumindest manchmal)

Ich lade euch alle ein, authentisch und persönlich zu sein, mit euren Kindern. Es ist so erfüllend! Setzt Grenzen. Aber echte.

In diesem Sinne,
Shalom,

Euer Mathias


Stichworte

Erziehung, Kommunikation


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